Ich schenke mir Abstinenz zu Weihnachten
Also ich lege mir dieses Jahr wieder Abstinenz unter den Baum…
Ich bin nicht der Grinch. Aber ich bin schon ein wenig grinchy. Ich möchte niemandem die Lust an Weihnachten nehmen. Auch liegt es mir fern, den Glauben insgesamt zu diskreditieren. Für die meisten Menschen auf dieser Welt ist der Glaube ein zentraler Baustein ihres Lebens. Eine Quelle für Hoffnung und Gnade und deswegen kraftvoll und bedeutsam sowie respektabel. Ich war einmal auf diesem Weg und habe ihn verlassen, was jedoch eine andere Geschichte ist.
Denn auch diese Medaille hat zwei Seiten und um meinen Punkt zu machen, muss ich mich auf die andere Seite eben dieser Medaille begeben. Mein Thema ist Weihnachten:
Weihnachten ist das Fest der Liebe. Das wichtigste Fest im Christentum. Es wird die Geburt von Jesus gefeiert. Dem Licht der Welt, dem Erretter, dem König der Könige. Wenn wir diesem Geburtstag so viel Bedeutung beimessen, stellt sich mir die Frage, ob wir durch die weit verbreitete Art und Weise Weihnachten zu feiern, durch unser Denken und Handeln dieser Bedeutung überhaupt gerecht werden?
In meiner Abstinenz habe ich gelernt, dass es wichtig ist, absolut offen und ehrlich zu sein. Die Last, die ich mit mir trage, möglichst gering zu halten, damit es eben nicht zu meinem sprichwörtlichen Kreuz wird. Also werden wir kurz einmal ehrlich: König Herodes soll Angst vor dem Propheten gehabt haben. Dies erscheint mir schwierig, den Herodes ist vier Jahre vor Christi Geburt bereits gestorben. Auch die berühmte Volkszählung, weswegen Maria und Josef sich auf den Weg machten, fand erst nach dem Tod von Herodes überhaupt statt. Der Geburtstag stimmt also nicht. Und durch überlieferte Sternkonstellationen konnten Astronomen ausrechnen, dass sehr wahrscheinlich Jesus in einem Junimonat geboren wurde.
Die Jahreszeit stimmt also auch nicht. Davon ausgehend, dass tatsächlich ein bedeutender Mann geboren wurde, wurde dieser ca. sieben Jahre früher und im Sommer geboren. Warum ist also die weiße Weihnacht so erstrebenswert für uns? Antwort: Die Kirche hat den Termin festgelegt, damit die Geburt ihrer Leitfigur in ihren Kalender passt. Für mich hat deswegen schon die Bedeutung des Ganzen irgendwie an Kraft verloren.
Mir sagt also der Kalender bzw. die Kirche, dass ich Weihnachten feiern soll. Das ich dankbar sein soll. Und Nächstenliebe zeigen soll. Achtsam und gnädig und aufmerksam und freundlich mit meinen Mitmenschen umgehen soll. Ich soll teilen und etwas von mir selber geben. Besinnlich sein und dankbar für all das, was mir Gutes widerfahren ist. Leider reduziert sich dieses strebsame Verhalten auf diesen Tag im Jahr. Ich hielte es für besser, wir würden immer so handeln.
Die Industrie hat sich dies auch zu eigen macht. Die Coca-Cola Company z.B. hat den Weihnachtsmann zum Leben erweckt. Ein Gedicht beschrieb 1822 einen fröhlichen Mann in rotem Mantel. Ohne Coca-Cola würde der Weihnachtsmann heute womöglich ganz anderes aussehen.
Die Schenkerei und die Atmosphäre, die Backwaren, der Tand, die Lieder und die Getränke wären ohne die Industrialisierung des Weihnachtsfestes heute undenkbar. Der Weihnachtsbaum ist ein alter Brauch, der aus einer germanischen Tradition heraus entstanden ist. Weihnachten ist also mehr ein heidnisches Fest als das es ein christliches Fest ist.
Und deswegen mag ich es nicht
Und was ich nicht mag, tue ich auch nicht. Damit es mich nicht stressen kann. Für mich und meine Abstinenz ist es elementar, dass ich nur diese Feste feiere, die ich auch feiern möchte. Weihnachten gehört für mich nicht mehr dazu. Ich kann mich freuen und es wertschätzen, dass es vielen anderen anders geht. Die in ihren Traditionen und Riten u.a. Halt, Ruhe und Geborgenheit finden und sich deswegen lange auf diese besinnliche Zeit freuen. Kinder geben solchen Festen und Traditionen schon eine gewisse Bedeutsamkeit. Ich habe jedoch keine Kinder.
Was waren das denn genau für Traditionen? Und wie manifest sind sie? Ich erinnere mich schon auch irgendwie gerne an Weihnachten zurück. Als Kind natürlich der Geschenke wegen, aber auch an die gemeinsame Zeit mit meinen Großeltern. Aus dem Baum wurde ein großes Geheimnis gemacht. Wir Kinder „mussten“ aufs Zimmer spielen gehen und plötzlich stand im Wohnzimmer ein Baum, erleuchtet und der Weihnachtsmann hatte dort Geschenke hingelegt. Und dann musste noch Gedicht oder ein Lied präsentiert werden. Omas Kartoffelsalat und Würstchen gab es zum Essen. Und vor der Bescherung gingen wir in die Kirche. Der alljährliche Pflichtbesuch sozusagen und irgendwie hat sich an dieser Struktur nicht wirklich etwas geändert. Der Kirchenbesuch fiel weg. Und mein festlicher Orangensaft zum Anstoßen verwandelte sich später in einen festlichen roten Sekt.
Und draußen? Viele Weihnachtsmärkte, die sich heute oft Wintermärkte nennen, öffnen bereits im November und bleiben bis Januar auf. Die Bäume stehen auch längst und aus dem Lautsprecher plärrt schon einmal „coming home for Christmas“. Dieses geheimnisvoll Kindliche ist dem Kommerz irgendwie zum Opfer gefallen. Und weil es so wunderbar gelungen ist, diesen mit unseren Weihnachtstraditionen zu verbinden, nehmen wir auch alles andere gerne mit, weil wir es eben auch mögen. Die Süßigkeiten und die Lebkuchen zum Beispiel. Wir können die Spekulatius mittlerweile bereits im August am Strand essen, um schon einmal ein wenig auf den Geschmack zu kommen. Schmalzgebäck und Mandeln, Kekse, Nüsse, Baumkuchen aber auch die Bratwurst sind feste Bestandteile eines Weihnachtsmarktes. Und dabei darf der Glühwein natürlich nicht fehlen. In Deutschland werden jedes Jahr 50 Millionen Liter Glühwein getrunken. Wenn wir großzügig davon ausgehen, dass ein Liter sechs Becher sind und ein Becher drei Euro kostet, dann kommen wir auf 900 Millionen Euro Umsatz. Ein Liter Glühwein im Einkauf kostet ca. 1,50 €. Da bleibt dann schon was übrig und die anderen weihnachtsmarktüblichen Getränke kommen ja noch dazu; als da wären der Punsch mit Schuss für den extra Gewinn, die Feuerzangenbowle, der Lumumba, Glögg und Grog sowie Eierpunsch und heiße Cocktails – Caipirinha mit heißem Wasser aufgießen und die Adventszeit hat Struktur. Natürlich ist mir klar, dass nicht alle 300 Millionen Becher auf den Weihnachtsmärkten verkauft werden, aber so wird die Dimension des ganzen Alkoholgenusses klar. Wenn die anderen Getränke 100 Millionen Becher ausmachen gehen in der Adventszeit 20 Millionen Becher heißer Alkohol pro Tag über den Tresen. Kann man so machen, aber ich muss nicht mehr dabei sein!
Weil es gefährlich für mich ist
Zwei Veränderungen sind es, die Weihnachtsmärkte und Weihnachten an sich für mich so gefährlich machen. Zum einen sind es die Gerüche. Durch meine Abstinenz reagiere ich extrem sensibel auf Gerüche und Weihnachtsmärkte verströmen alle, die ich früher geliebt habe. Und diese ganzen Alkohole zu sehen und zu riechen und mich zu erinnern und sehnsüchtig zu werden, um sie dann nicht zu trinken, würde mich unglaublich stressen. Konsum an Weihnachten ist allgegenwärtig. Selbst vor Einkaufspassagen gibt es den Glühwein für zwischendurch. Obschon ich noch fahren muss, aber einer geht ja immer. Und zum anderen ist es das Aufgeben von Traditionen. Ich habe den Weihnachtsstress nie gemocht, aber ich konnte ihn verstehen. Und ich verstehe, warum ihn andere nicht aufgeben wollen und ich würde dies niemals verlangen. Aber für mich wäre diese Tradition niemals vollständig. Das Anstoßen auszulassen erscheint vernünftig und logisch. Es fühlt sich aber nicht so an. Traditionelles wurde auch für die Großeltern aufrechterhalten, aber diese sind nun leider nicht mehr da und die Kinder sind volljährig und für den Deal „Geschenke gegen Gedichte“ nur noch schwer zu begeistern. Somit gebe es die Tradition nur der Tradition wegen und das würde mir nicht guttun.
In meiner Abstinenz habe ich also relativ früh entschieden, dass Weihnachten nichts mehr für mich ist, weil ich zentrale Elemente des Weihnachtsfestes, wie wir es heute feiern, nicht mehr zelebrieren kann und möchte: Die Tradition an sich und den überbordenden Konsum bzw. den Kommerz. Zudem ist es schade, dass christliche Werte nur in dieser besinnlichen Zeit sichtbar zu sein scheinen und ehrlich ist das Fest im Ansatz schon nicht.
Kirche für das Ausleben eines Glaubens mir auch nicht mehr erschließt. Vermutlich würde es mich daher sehr frustrieren, wenn ich trotzdem versuchen würde, ein frohes und glückliches Weihnachtsfest zu feiern. Und Frust hilft meiner Abstinenz überhaupt nicht.
Abschließend ist mir wichtig, dass es noch einmal deutlich wird, dass das meine Sicht auf Weihnachten ist und das mir diese Ansichten helfen an Weihnachten abstinent zu bleiben. Ich werde dieses Jahr an Weihnachten verreisen und plane dies auch nächstes Jahr zu tun. Womöglich lerne ich durch andere Kulturen einen neuen Sinn an Weihnachten, der mir bislang verborgen blieb.
Ich wünsche allen, die dieses Fest lieben, ein schönes Weihnachten. Die es lieben, Geschenke zu geben und beschenkt zu werden. Die es lieben, dass Freunde und Familie zusammenkommen, um besinnlich und dankbar am Weihnachtsbaum zu sitzen.
Ich habe auch dieses Jahr keinen Baum, aber ich bin demütig und lege mir das größte Geschenk ever darunter: meine Abstinenz!
Merry Christmas everyone!
P.S.
Einen lieben Gruß an meine Mutter:
„Hoch oben singt Josef den Engeln was vor.“
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