"Deine Hunde schlafen laut!"
Ich hatte entschieden, dass ...
Nein. So stimmt es nicht!
Wir hatten entschieden.
Nein, so stimmt es auch nicht wirklich.
Ich bin irgendwie dabei gewesen, als eine Entscheidung getroffen wurde, dass ich erstmal bei meinem besten Freund auf der Couch wohne. Nicht alleine zu sein, schien eine gute Idee zu sein. Verantwortungen aufzugeben womöglich auch. In jedem Fall bin ich gerade mit meinem Leben überfordert. Schon das Einschlafen scheint eine Überlastung zu sein. Der Kopf stellt mir permanent die Frage: „Wie bist Du hierhergekommen?“ Dass ich versucht hatte, nüchtern auf einer fremden Couch einzuschlafen, dass ist schon eine Ewigkeit her. Oder ist doch nur das Kissen zu dünn oder die Decke zu warm? In jedem Fall ist der Spitz-Papillon-Mischling, der permanent auf mir rumspringt keine großartige Hilfe. Ich wusste gar nicht, dass Hunde nachtaktiv sind. In jedem Fall scheint es mir ein wenig so, wie in meiner letzten Beziehung zu sein: Nach einer kurzen Diskussion entscheiden wir gemeinsam, dass ich kein Kissen mehr habe. Eigentlich hatte ich doch nie ein Alkoholproblem – also warum ertrage ich dieses Schauspiel?
Erkennen ist der erste Schritt hin zur Verbesserung
Also zunächst: „Eigentlich, gibt es nicht.“ Alkohol hatte schon immer eine viel zu große Bedeutung in meinem Leben. Alkohol und ich gab es stets zusammen und in dieser Kombination wurde ich geduldet – im Beruf und im Freizeitleben, bei Familie und Freunden. Ich hatte mir eingebildet stark zu sein, denn schließlich hatte ich immer noch eine hohe Schaffenskraft trotz des Alkohols. Alkohol hält mich nicht auf. Im Gegenteil: Alkohol ist der Lohn für meine Mühen. Ich hatte aus der kleinsten operativen Abteilung in meiner Firma die größte operative Abteilung gemacht. Ich konnte am Abend studieren und zudem noch drei Stunden pendeln. Schlafen ist überbewertet. Kaffee und Energizer hatten diesen Platz eingenommen. Kritik und Lob, Entspannen, Gefühle zulassen und Stress abwehren, für alle das gab es Alkohol. Das Feierabendbier oder den Sektempfang. Den Seelenschmeichler, den Zungenlöser zum Wochenende, den Verteiler, den einen für den Weg und den anderen für gute Freunde.
Ich hatte mich zu einer Maschine gemacht. Oben wurde Koffein und Alkohol reingegossen und was fertig werden musste, wurde auch fertig. Und Erfolg rechtfertigt auch stets die Mittel. Also warum sollte ich mich fragen, ob mit mir was nicht in Ordnung ist?
Bis zu diesem Abend. Valentinstag 2017. Mein letzter Arbeitstag. Urlaub einleiten durch reichlich einen Reinlöten. Warum ich damals abends spät noch mit dem Auto gefahren bin, kann ich nicht wirklich vollständig auflösen, aber in jedem Fall war ich gegenüber meinem Alkoholismus ignorant, überheblich und arrogant. Ich habe mich und andere einer Gefahr ausgesetzt, welche zum Glück nicht eingetreten ist. Die Frage, ob ich es für gesund halte, dass ich mit rund drei Promille noch ein Auto steuern kann, konnte ich dem Polizisten gegenüber nicht wirklich bejahen. Also habe ich wohl ein Problem!
Die Abhängigkeit ist mit mir gemeinsam gewachsen
Schuld suche ich nirgendwo und bei niemandem. Auch nicht bei mir. Schuld wird gesprochen. Von einer höheren Instanz und warum sollte ich mich über mich selbst erheben? Es gibt in meinem Fall nur einen Geschädigten und zwar mich selber. Ich will mich nicht selber beklagen und selber richten. Ich will diese Gefühle nicht zusätzlich aushalten müssen. Ich schäme mich genug und stelle Entscheidungen in meinem Leben bereits in Frage. Aber ich muss auf jeden Fall Verantwortung übernehmen. Und dazu gehört eben auch verstehen zu wollen, was da genau mit mir passiert ist. In jedem Fall habe ich mir oftmals ein Umfeld gesucht, welches alkoholaffin ist. Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel. Ich war kein sehr guter Student und auch kein sonderlich guter Schüler. Ich war kein Einzelgänger, aber auch nicht sonderlich beliebt. Aber ich konnte ordentlich zechen, so dass ich dann doch stets irgendwie dabei war. Alkohol ist ein sozialer Katalysator und dies habe ich mir immer gerne zu nutzen gemacht; selbst für Mitmenschen, die ich nicht sonderlich mochte.
In den Mittzwanzigern begann meine berufliche Karriere in der Logistik. Auch hier habe ich mich wohl gefühlt, denn wer im Lkw, auf dem Containerschiff oder im Lager keinen Alkohol findet, hat nur nicht richtig hingesehen. Alkohol war Mittel zum Zweck. Alkohol war Umgang. Alkohol war normal. Alkohol hat eine allgemeine Legitimität und die hatte er immer schon. Und durch diese Legitimität stand es außer Frage, dass ich meinen Konsum hinterfrage. Alkohol war nicht Grund für meine berufliche Etablierung, aber er war ständiger Begleiter. Mit den Fahrern ein Bier nach der Abfertigung. Mit den Kollegen einen Sekt zum Wochenabschluss. Mit dem Chef ein Glas Wein zum Jahresabschluss. Mit dem Direktor einen Champagner zum Empfang des neuen Kunden. Das ist gesellschaftsfähig und wenn ich ein Problem habe, dann hat es die Gesellschaft ja zwangsläufig auch. Zu dieser Erkenntnis war ich damals nicht bereit und nicht fähig, weil ich ängstlich und unwissend war.
Heute weiß ich, dass Konsumdelikte im Straßenverkehr Massenphänomene sind und von der Justiz nur noch in der Masse abgefertigt werden können. Zu Verhandlungen vor Gericht kommt es i.d.R. nicht. Jeder vierte Mitbürger in Deutschland (Altersgruppe 18-64 in 2018 lt. DHS) konsumiert Alkohol in einer gesundheitlich riskanten oder problematischen Art und Weise. Rückwirkend betrachtet wäre ein gewisser Argwohn angebracht gewesen.
Auch die Dekade vorher habe ich stets gerne nah am Alkohol verbracht. Eskapaden gab es auch, aber als Heranwachsender seltener als in der beruflichen Laufbahn. In jener späteren Phase werde ich meinen Alkoholkonsum intensivieren. Habe ich als Heranwachsender in der Diskothek, bei Konzerten oder auf Partys viel mehr Alkohol getrunken als andere? Eher nein. Habe ich als Heranwachsender mehr Alkohol konsumiert um breit zu sein? Eher ja. Und warum? Ich bin in einem Haushalt groß geworden, der einen sehr liberalen Umgang mit Alkohol hatte. Es gab stets den Wein zum Abend oder den Absacker zum Abendkrimi. Der Verteiler zum Abendessen gehörte zum guten Ton. „Auf einem Bein konnte man nie stehen“ und wenn noch jeder einen trinkt, dann ist wenigstens die Flasche leer. In den Einkaufswagen gehörte immer Alkohol. „Bacardi ist im Angebot“ und „den Bardolino mochtest Du doch so gerne“ waren Standardsätze. Die Oma trank mit ihrem Enkel im am liebsten und so jung kamen wir nie wieder zusammen. Kurzum: Wenn es keinen Grund für Alkohol gab, dann wurde einer gefunden. Und dies war und ist üblich und in Deutschland Trinkkultur. Jede Schrankwand bei Ikea hat eine eigene Hausbar und auch meine war stets gefüllt. Zum Geburtstag gab es teuren Whiskey, weil „Du den ja so gerne magst“. Ich mag auch gerne Leberwurstbrot. Selbiges hatte ich aber nie auf meinem Geschenketisch. Ich wurde früh an Alkohol gewöhnt und habe mich (auch physisch) schnell an Alkohol gewöhnt. „Du kannst aber ordentlich einen Schluck vertragen“ empfand ich schnell als Lob und als eine positive Eigenschaft. Umso weniger habe ich im Alter die kritischen Worte zu meinem Alkoholkonsum angenommen. Frei nach Pippi Langstrumpf hatte ich mir die Welt so gemacht wie sie mir gefällt. Und Pippi Langstrumpf wurde schließlich auch nicht abhängig.
Die Wurzel des Übels
Laut einem Sprichwort ist Geld ist die Wurzel allen Übels. Allerdings nicht bei mir. Geld hatte ich zwar „leider“ immer genug, um mir Alkohol kaufen zu können, aber der Gewohnheit und der Verfügbarkeit den schwarzen Peter hinzuschieben, dass war mir zu einfach und es wäre mir gegenüber auch nicht ehrlich gewesen. Mir war irgendwann für mich klar, dass da noch viel mehr schlummern musste. Und es war sehr viel mehr. Nach einer Traumreise (Betonung liegt hier auf dem Traum und nicht auf der Reise) fing ich plötzlich an zu zeichnen. Ich zeichnete eine orthopädische Schiene, die ich als Teenager lange Zeit tragen musste. Meiner Teenagerzeit hatte ich nie Beachtung geschenkt. Und dies vor allem, weil ich es nicht wollte. Ich habe mich davon abgrenzen wollen, weil die Zeit meiner Pubertät eine schwierige Phase war, die mir meine seltene Krankheit vor Augen führte. Ich musste damals (und muss es heute) diverse operative Eingriffe über mich ergehen lassen. Die Krankheit war es, die mein Leben bestimmte. Ich verließ Sportvereine und schaffte die Schule nicht. Ich verlor Freundschaften und in der Familie war ich nur noch „der arme Jung‘“. Nach einem Eingriff war ein Bein gelähmt und ich musste neu lernen zu gehen. Die Schiene benötigte ich, um beim Gehen nicht permanent zu stolpern. Gingen meine Freunde zum Fußball, dann ging ich zur Physiotherapie. Die Krankheit übernahm mein Leben, obwohl ich es noch nie selber geführt hatte. Ich fühlte mich hilflos und das erste Mal tatsächlich abhängig. Ich grenzte mich später von dieser Periode meines Lebens ab.
Alkohol erleichterte mir dies. Alkohol ist zuerst ein sehr guter Freund, eine Geliebte. Alkohol gab mir immer das, was ich wollte. Es war eine Sehnsucht, der ich nachgab, da mir das normale Leben diese Freiheit nahm. Egal ob ich glücklich sein wollte oder traurig, ob ich stolz war und enttäuscht von mir, ob ich gut gelaunt war oder böse, ob es einen Anlass gab oder auch keinen: Alkohol hat es mir gegeben.
Heute sehe ich das nach sieben Jahren Abstinenz natürlich deutlich anders. All dies Gefühle waren schon immer in mir. Der Alkohol hat sie einfach verstärkt und dafür habe ich ihn geliebt. Und so wurde er auch bei mir genau das, was er immer war und bleiben wird: Alkohol ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Du bekommst, was Du willst. Und Du bekommst außerdem was er ist: ein Gift für die Nerven.
Ich konnte mich also nicht weiter von meiner Vergangenheit und meinem Schicksal abgrenzen. Es hatte mich eingeholt. Ich beschloss meinen Frieden damit zu machen und mich vom Alkohol abzugrenzen. Zu erkennen, dass ich nichts verliere, wenn ich auf den Alkohol verzichte, denn ich gewinne die Kontrolle über mein Leben zurück. Diese Selbständigkeit wiegt viel schwerer.
Und dies war für mich des Rätsels Lösung! Eine innere Gelassenheit und Akzeptanz, dass ich zwar niemals gesund sein werde, jedoch ohne Alkohol zumindest auch nicht krank
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