All Inclusive
Einfach mal raus. Ich wollte einfach mal weg sein. Ein paar Problemen des Alltags entfliehen und mit ein paar anderen alleine irgendwo anders sein. Routinen durchbrechen! Sollen mir doch die Feiertage den Buckel runterrutschen. Kein Schnee und kein Regen im Dezember sondern blauer Himmel und ein strahlend blaues Meer, 28 Grad, Palmen und weißer Sand und einen Cafe Con Leche vormittags an der Poolbar… Ich glaube, es waren die entspanntesten Feiertage ever.
Ich bin dann mal weg
Last minute, all inclusive gebucht und Abflug. Mein letzter Urlaub war tatsächlich schon vor einigen Jahren vor der Pandemie, so dass es mir gar nicht mehr so richtig bewusst war, was „All inclusive“ eigentlich heißt. Ein Band am Arm ist das Erkennungsmerkmal dafür, dass im Prinzip alles bereits bezahlt ist. Der Maßlosigkeit ist also schon einmal Tür und Tor geöffnet.
Und was früher einmal im kirchlichen Kontext ein sündhaftes Verhalten war, ist im Hotel vor Ort eine Normalität und irgendwie auch ein Offenbarungseid, denn es stellt sich für mich mitunter die Frage, ob sich eine absolute Dekadenz nur durch den Fakt erklären ließe, dass mich ein Flugzeug in ein neues Wohnumfeld transportiert.
Wo einer geht, da gehen auch zwei
Beim Einchecken wurde mir eine Liste mit Getränken ausgehändigt, die im Preis inkludiert waren und dazu gab es noch die ergänzende Beruhigung, dass es auch alle anderen Getränke gäbe, für die es dann halt nur einen Aufpreis bedurfte. Die erste Bar mit einem fantastischen Blick von der kanarischen Steilküste hinaus aufs Meer war auch direkt neben der Rezeption, so dass das Gelernte sofort praktisch angewandt werden konnte. Ein Kaffee zum frühen Nachmittag und ein Wasser für das Zimmer wurde von den Mitreisenden oft bestellt aber auch der Begrüßungscocktail. Die Koffer sind noch im Foyer und die Winterstiefel sind auch noch an, aber Caipirinha und Tequila Sunrise zum zungenlösenden Start in den Urlaub kann man halt auch machen. Gerne auch zwei Gläser pro Person, weil die Gläser zu klein oder zu viel Eis drin waren.
Dabei geht es mir überhaupt nicht um das Gönnen selbst. Jeder soll dies für sich entscheiden. Was für den einen der Cocktail ist, ist für den anderen der Kaffee und das lokale Gebäck zum Ankommen.
Der auslösende Gedanke für dieses Verhalten ist überall der Gleiche; nur die Wirkung ist es eben nicht. Denn Alkohol wirkt bei vielen Menschen eben enthemmend bis hin zur Aggressivität und wenn ich dazu vermute, dass ich durch das Bändchen am Handgelenk einen besonderen gesellschaftlichen Status erlangt hätte, wird es schnell überbordend bis respektlos – je nachdem ist der Pegel relativ leicht festzustellen.
Ich gehe also den Flur entlang zu meinem Zimmer und die ersten Cocktailleichen kommen mir entgegen. Warum auch nicht? Ist ja schon 14:00 Uhr. Meine Kenntnisse in osteuropäischen Dialekten sind beschränkt, so dass ich nicht wirklich bei der Frage helfen konnte, wo die benannte Leiche Kumpel und Zimmer finden wird. Einen tiefergehenden Austausch konnte es aus bekannten Gründen dann nicht mehr geben. Ob die Bar ein guter Treffpunkt sei, wollte ich nicht bestätigen aber auch nicht verneinen. In der freien Natur kehren Raubtiere ja auch oft zu ihrem Kadaver zurück. So sollte es dann später auch sein.
Alles muss, nichts kann?
Und wer sich von altem schädlichem Verhalten abgrenzt, dem fällt es eben auch besonders auf, wenn sich Klischees bestätigen – so auch mir. Vor ein paar Jahren wäre der Begrüßungs-Cuba-Libre auf jeden Fall in meiner Hand gewesen und bei der Öffnung der Poolbar hätte ich in der Schlange gestanden. Umso mehr kann ich mir heute die Frage stellen, ob das alles so richtig ist.
Zum Essen z.B. habe ich mir ein alkoholfreies Bier bestellt. „Cerveza sin por favor“ hatte ich dem Kellner in akzentfreiem Spanisch auf den Weg geben wollen. Und seine Antwort hatte mich enorm überrascht: „Cerveza? Cerveza sin? Sin alcohol? Der Entrüstung zur Folge schien dies keine übliche Bestellung zu sein. Womöglich mussten sie die Flaschen nun auch erst einmal entstauben. Alkoholfreie Weine oder Virgin Cocktails gab es auf der Karte nicht, was dann scheinbar auch auf eine geringe Nachfrage schließen lässt.
Dass mir diese Überraschung oft begegnete, bestätigte auch wiederum mein Vorurteil, dass die Mentalität der Reisenden „… hab‘ ich ja auch bezahlt, nun möchte ich auch gutes Preis-Leistung-Verhältnis haben“, zu einer legitimierten Druckbetankung führt, welche auch hier gesellschaftlich akzeptiert, wenn nicht sogar gewünscht ist, da er Bestandteil einer Kalkulation und Norm ist, die Umsatz generiert. Und wenn es Arbeitsplätze sichert, dann tue ich ja mit meinem Vollrausch auch noch etwas Gutes.
Und so wird aus einem krankhaften Verhalten schon beinahe ein normatives Verhalten. Was Menschen zu Sündern macht, macht Urlauber zum zufriedenen Kunden. Morgens knallten zum Frühstück schon die ersten Champagnerkorken. Es war Usus, dass man sich dort kein Glas für sich einschenkte, sondern man nahm die ganze Flasche mit, denn die war auch bezahlt. All inclusive eben! Deswegen gehen mitunter auch zwei Flaschen, denn meine Frau nimmt eine mit zum Pool und ich nehme eine mit ins Gym, wo wir klassich deutsch unsere Liegen und Geräte reserviert hatten, trotz eindringlicher Bitte dies nicht zu tun. Nur kann ich dieser Bitte nicht nachkommen, weil es ja „All inclusive“ sein soll. Wir treffen hier die nächste Sünde an. In meiner Beurteilung ist dies nichts anderes als Habgier.
Sünden schmecken köstlich
Besonders spannend wurde es, wenn mein Vorgänger die letzte Flasche aus der Eisschäle zog oder die Bar geschlossen wurde, ohne dass mein letzter, nicht mehr so ganz fromm formulierter Getränkewunsch erfüllt wurde. Denn dann kamen auch noch Neid und Zorn zum Vorschein. Der Tresenkraft wurde dann zum Ende oder zum Beginn des Arbeitstages eine weniger dankbare Formulierung an den Kopf geworfen. Mit so einer kleinen Pöbelei hat ja der Tag dann aber auch bereits Struktur. Respektvolles Verhalten war offenbar nicht inklusive.
„Das Paar aus Zimmer 436 hat die letzte Flasche Britzelwasser bekommen und wir müssen nun verzichten. Und das soll All inclusive sein?“ Nun, vor allem morgens war dieses Verhalten spannend, denn es bedurfte nur eine halbe Stunde Geduld, bis die Poolbar öffnete. Um zehn Uhr morgens konnte es dann weitergehen, aber dazu müsste ich ja meine Liege nochmal verlassen. Ich möchte mir vielmehr jetzt den Hals zuschütten. „Und außerdem komme ich seit Jahren hierher. Und immer buche ich all inclusive. Eigentlich gehört mir das Hotel.“ Uns begegnen Trägheit und Hochmut. Wenn dies normaler gesellschaftlicher Umgang sein soll, … na dann „Prost“.
Diese Hemmungslosigkeit und das Selbstverständnis, dass von allem genügend da ist und der Nächste warten kann, bevor ich etwas übriglasse, erscheint mir als sehr befremdlich. Alkohol bestärkt dieses Verhalten und zum Abend hin wird die Atmosphäre tatsächlich etwas rauer im Gegensatz zum Wetter immerhin.
Natürlich kann ich mir drei Teller mit Langusten vollmachen, esse nur einen und der Rest wird in den Müll geworfen. Oder ich bestelle mir eine Flasche Wein, trinke zwei Gläser und der Rest geht in den Abfluss. Eine Alternative wäre innezuhalten und zu fragen, ob es richtig ist, sich maßlos zu verhalten, nur weil ich es kann. Und ich rede hier nicht von Nachhaltigkeit!
Es sind Laster, die in der klassischen Theologie zu einer Ächtung geführt hätten, weil sie für die Abkehr vom Gottesglauben stünden. Eine Heilung versprach man sich seinerzeit durch die Taufe. Und heutzutage binden wir uns ein Band um das Handgelenk und kennzeichnen uns. Wir leben die Dekadenz aus, eskalieren mitunter und erteilen uns eine stückweite Absolution, weil wir ja auch für die Kosten dieser Eskapaden im Vorwege aufkommen. Und es stellt sich die Frage, ob das tatsächlich ausreicht. Lechzen wir eigentlich alle nach dieser Dekadenz und im Alltag stehen lediglich unsere Vernunft und unser Kontostand dem entgegen? Oder laufen wir auch einem Klischee hinterher? Nämlich dem Bild, bei dem zu einem Sandstrand und Palmen eben auch der Rum dazugehört. Und dass es ebenso normal ist, nach dem sechsten Doppelten den Einheimischen den Kassenschlager: „…und die Puffmutter heißt Leyla…“ als deutschens Kulturgut beibringen zu wollen.
Ist dann wirklich alles inklusive?
Es ist eben nicht alles „All inclusive“. Respekt, Nachhaltigkeit und Verzicht muss ich schon selber aufbringen; ebenso wie das Verständnis, dass ich eben nicht der Mittelpunkt allen Handelns bin, auch wenn die Anpreisung des Reisebüros dieses vermuten lässt. Genuss soll zweifelsfrei ein Bestandteil des Urlaubs sein. Und diese kulinarischen Besonderheiten muss es auch in jedem Fall geben. Und genau wie beim Alkohol bleibt es besonders und genießerisch, wenn ich es in Maßen tue.
Zum Ende bleibt es mir noch wichtig zu erwähnen, dass in den allermeisten Fällen dies auch stattgefunden hat. Es sind die Ausnahmen, die das Klischee bestätigen und zum Glück für mich ist Fremdscham in der Liste der Sünden nicht zu finden, anderenfalls hätte ich wohl eine weitere schlechte Eigenschaft, die es zu hinterfragen gilt - während meines Urlaubs hatte ich diese aber inklusive.
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